Es erweckt allgemeine Bestürzung, dass Finnland jetzt eine rechtsextreme Regierung hat. Dass nach dem völligen Fiasko der Regierung Sipilä (Agraren, Konservative und Rechtsextremisten) und dem Wiederaufleben der Sozialdemokratie unter Marin noch eine rechtsextreme Regierung in Finnland an die Macht kommen konnte, scheint die ganze Welt überrumpelt zu haben. Uns Finnen aber überrascht dieser rechtsextreme Staatsstreich keinesfalls.
Die entscheidende Rolle spielen hier die finnischen Medien. Die früheren Wahlerfolge der rechtsextremen Wahren Finnen beruhten vor allem darauf, dass die sogenannten Alternativen Medien - vor allem die offen russlandfreundliche Internet-Zeitung "MV-Lehti" - eben am Vortag der Wahlen verschärft ausländerfeindliche Propaganda trieben. Die "MV-Lehti" hat seit dem Krebstod ihres Gründers, ersten Chefredakteurs und Verlegers Ilja Janitskin einen Rückgang erlebt: heute wird die Site der "Uusi MV-Lehti" ("Neue MV-Lehti") von Janus Putkonen produziert, der inzwischen in eine der in der Ost-Ukraine entstandenen russischen Pseudorepubliken übergesiedelt ist. Die "Uusi MV-lehti" hat sich somit völlig diskreditiert und steht jetzt als erbärmliches putinistisches Propagandaorgan da, dem nur völlig marginalisierte Grüppchen von rechtsextremen Strassenaktivisten noch Vertrauen schenken.
Dagegen aber haben die sogenannten Mainstream-Medien in Finnland die Rolle der MV-Lehti übernommen. Die Regierung Marin hat die kommerziellen, "apolitischen" Medien Finnlands dazu gebracht, völlig irrationalen Frauenhass zu verbreiten. Im Sommer des vergangenen Jahres wurde zum Beispiel das fadenscheinige Gerücht von Marins "Kokainpartys" von kommerziellen Medien enorm aufgeblasen. Der Leiter der Nachrichtenredaktion der Fernsehstation MTV, Ilkka Ahtiainen, erklärte in den Social Media, dass er "allmählich begonnen habe zu argwöhnen, dass die [mit dem Covid-Lockout zusammenhängenden] Beweglichkeitsbegrenzungen nur eine Finte seien, mit der die Regierung die Aufmerksamkeit von etwas anderem ablenken wolle" (Alan pikku hiljaa epäillä, että liikkumisrajoitussuunnitelmat ovat syötti, jolla maan hallitus haluaa ohjata huomion pois jostain muusta), und er wandte sich an seine Follower mit der Bitte, ihm eventuelle alternative Erklärungen (sprich: Verschwörungstheorien) vorzuschlagen.
An sich war es zu erwarten, dass eben Ahtiainen sich so benimmt. In einem Gespräch mit der Zeitschrift Journalisti hat er zugegeben, dass er den Führer der Online-Gemeinde der finnischen Rassisten, Jussi Halla-aho, als den interessantesten Politiker Finnlands sieht. Die Äusserungen Halla-ahos sind die gewöhnlichen rechtsextremen Klischees - das Originellste an ihm ist, dass er vielleicht als Erster in Finnland gewagt hat, den Mythos von den Juden als Besitzern Hollywoods im Mainstream zu kolportieren. (O-Ton: Saksalaisia on kiva syytellä, koska cosi fan tutti. Armenialaiset eivät kiinnosta ketään, koska armenialaiset eivät omista Hollywoodia ja Yhdysvaltain mediaa. "Es macht Spass, Deutsche zu beschuldigen [wegen des Holocausts], weil cosi fan tutti [alle es tun]. Die Armenier [d.h. der Völkermord an den Armeniern durch die Türkei im Jahre 1915] interessieren niemanden, weil die Armenier nicht Hollywood und die amerikanischen Medien besitzen.") Und das Interessanteste an Halla-aho ist, dass er es geschafft hat, solche rechtsextremen Klischees im finnischen Mainstream akzeptabel zu machen.
Dass Halla-aho dem Rassismus und Rechtsextremismus Genehmigung hat gewinnen können, liegt natürlich auch daran, dass er promovierter Doktor einer humanistischen "brotlosen Kunst" ist - er hat eine Grammatik der kirchenslavischen Sprache verfasst. In unseren Medien war es lange die etablierte Strategie, Rassismus als Unzivilisiertheit der Ungebildeten abzutun, und dieser Appell an den Bildungssnobismus hat nicht mehr funktioniert, als Halla-aho in der Öffentlichkeit aufgetaucht ist. Dass auch Joseph Goebbels ein humanistischer Doktor war, wussten unsere Medienmenschen offensichtlich nicht.
Halla-aho an sich ist nicht interessant. Das Interessante sind die Medien, die zum Beispiel die Kollaboration rechtsextremer Aktivisten mit Russland grösstenteils verschwiegen haben. Halla-aho, der seinerzeit in der finnischen Botschaft in Kyiw gearbeitet und dabei die ukrainische Sprache erlernt hat, versucht jetzt, als Freund der Ukraine zu posieren. Im Jahre 2009 aber ist er auf dem russischen Propagandakanal RT (damals hiess er wohl noch Russia Today) aufgetreten, wobei er prophezeite, dass die "Immigranten-Ghettos" von Finnland bald in Flammen aufgehen würden. Ob es in Finnland überhaupt Immigranten-Ghettos gibt, ist fraglich; ausserdem sind die grössten eingewanderten Nationalitäten hierzulande die Russen und die Esten, nicht etwa irgendwelche Afrikaner oder Muslims. Sein Auftritt auf dem russischen Propagandakanal aber wurde in finnischen Medien weder kommentiert noch erwähnt.
Halla-aho hat keine Mühen unterlassen, um Muslims zu diffamieren. Und wie alle rechtsextremen Aktivisten, ist auch er völlig scheinheilig. So hat er mal die Polygamie der Muslims zur Diskussion gebracht und die Meinung geäussert, die vielen geschiedenen muslimischen Frauen mit ihren Kinderscharen könnten die finnische Sozialfürsorge überfordern. Es hat sich aber inzwischen herausgestellt, dass Halla-aho mit einem weiblichen Mitglied der Jugendorganisation der finnischen Mainstream-Konservativen ein aussereheliches Kind hatte. Es wäre durchaus legitim gewesen, Halla-aho in den Feuilletons der Presse dafür wenigstens ein bissel lächerlich zu machen. Kein einziger Feuilletonist aber wagte, etwa den selbstverständlichesten Witz über Halla-aho als Erlebnisexperten der Polygamie zu reissen. Haben die Journalisten und Feuilletonisten etwa Angst vor ihm?
Das glaube ich nicht. Dagegen haben sie Angst vor den Managern und Eigentümern der grossen Mediefirmen, für die sie arbeiten und bei denen sie Arbeit suchen müssen, wenn sie ihre heutige Beschäftigung verlieren. Ich selbst bin ja seit zehn Jahren aus finnischsprachigen Medien ausgeschlossen: ich wurde wegen meiner damaligen antifeministischen Provokationen als zuverlässiger Rechter rekrutiert, was eigentlich nie stimmte - als ich mich dann von dem Rassismus distanzierte, der in den damaligen "Prä-Incel"-Kreisen in Finnland (damals nennten sie sich selbstironisch alemman tason miehet, ungefähr "Männer der niedrigen Ebene") zu keimen begann, wurde ich von diesen Männern, die davor mich als ihren Guru betrachtet hatten, plötzlich zum Erzfeind erklärt. Während die Produzentin der Site durchaus willens war, mich gegen die Proteste etwa der Feministen und Linken zu verteidigen, verschwand jeder Arbeitsschutz, als es die Online-Armee der "Alt Right" war, die mich aufs Korn nahm. Und das Schlussergebnis war, dass ich nicht nur meinen damaligen Job als Blog-Plauderer verlor, sondern auch in den ganzen finnischen Medien unzitierbar, uninterviewbar und unerwähnbar wurde. Vor zehn Jahren schon.
Man könnte sich vorstellen, dass jemand, der sieben Sprachen beherrscht und einige dazu gut genug versteht, um Nachrichten in einigen anderen auswerten zu können (spricht man fliessend Polnisch und liest man ausserdem gut Russisch, hat man wenig Probleme mit ukrainischen Online-Zeitungen), in diesen Zeiten schnell neue Beschäftigung in Medien hätte finden können. Aber das ist ein typischer Fall von denkste. Das Wichtigste ist, dass man der extremen Rechten nicht auf die Nerven geht.
Aber vergessen wir meinen Fall, über den ich sowieso anderswo geschrieben habe. Ich will auf etwas viel Interessanteres zu sprechen kommen, nämlich auf eine gewisse Äusserung von Olli Herrala, einem Journalisten und Blogger bei der Zeitung Kauppalehti, der führenden Geschäftszeitung Finnlands. Herrala (der Familienname ist in der Tat etymologisch verwandt mit dem deutschen Wort Herr) hat sich in einem Blogeintrag darüber erzürnt, dass man in Finnland soviel von der extremen Rechten redet. Früher quatschte man über den Antisowjetismus, heute ist es die extreme Rechte, meinte er.
Kurz nach dieser Äusserung von Herrala hat die finnische Entsprechung des deutschen Verfassungsschutzes, die Suojelupoliisi oder Beschützungspolizei, in ihrem neuen Bericht darauf aufmerksam gemacht, dass die extreme Rechte in Finnland schon eine ebenso ernsthafte Bedrohung darstellt wie die Islamisten. In Finnland hat es rechtsextreme Gräueltaten schon vor der ersten islamistischen Terroraktion gegeben, was wahrscheinlich daran liegt, dass die Suojelupoliisi geschickt genug gehandelt hat, um islamistischem Terror in Finnland weitgehend vorzubeugen.
Die Suojelupoliisi hat sich lange eingebläut, dass die finnische extrteme Rechte wäre zu zerstritten, um besonders gemeingefährlich zu sein. Ausserdem haben diese unsere Beschützer uns weisgemacht, dass die anderswo schon verbreitete Russophilie der äussersten Rechten, der Proputinismus, in Finnland keine Wurzeln schlagen könnte, weil unsere Tradition des Rechtsextremismus so antirussisch wäre. Das hat sich inzwischen verändert, was heute auch die Suojelupoliisi zuzugeben bereit ist.
Es ist folglich mein Eindruck, dass die Suojelupoliisi sich im allgemeinen gut auskennt. Dagegen aber sind unsere mainstream-rechten Medien nicht bereit, unsere Sicherheitspolizei zu unterstützen oder anzuerkennen, dass sie Bescheid weiss und dass wir ihr zuhören sollten. Nein. Die Rechtsextremisten selbst antworteten schon immer, sie wären nicht rechtsextrem, und wer es ihnen unterstellte, wäre ein böswilliger Kommunist, oder dass über die extreme Rechte zuviel geredet wurde usw. Jetzt haben sich ähnliche Verdrängungsmechanismen offensichtlich auch unter finnischen Mainstreamjournalisten breitgemacht.
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